In Tissa-Ulrichswalde nachgeschaut 2019

Die Tissaer sind wieder dran! Es sind seit 2014 wieder einige
Jahre vergangen und die aktuelle Lage muss mal wieder in
den Dorfkurier. Große Meldungen über gigantische öffentliche
Bauvorhaben wie die Dorfplätze Tissa und Ulrichswalde in
den letzten Ausgaben gibt es nicht zu vermelden. Der Grund
hierfür ist hauptsächlich, dass alles soweit hergerichtet ist und
der Investitionsdruck nachgelassen hat. Zwei Wege könnten
allerdings noch in die Kur kommen, denn dreißig Jahre nach
der Wende fangen auch Nachwende-Errungenschaften an zu
kollabieren. Die Kreisstraße und hierbei besonders die Hohle in
Ulrichswalde erinnert allerdings noch sehr an die Vorwendezeit,
zumal sie auf 12 Tonnen begrenzt ist und trotzdem regelmäßig
mit 40 Tonnen Gülletransportern zum Schweinestall zerfahren
wird.
Aber wo zur Zeit mächtig investiert wird in der Gemeinde und
speziell in Tissa ist in die Bevölkerungsstruktur. Die Jugend
übernimmt das Ruder und ist nicht nur tag- sondern auch
schwer nachtaktiv. Die Kinderwagen rollen und man weiß gar
nicht so recht, sind die Mädels nun noch kugelrund oder schon
wieder. Die Kinder bekommen alle lustige ehrwürdige Namen
wie Malte und Matteo, Arthur, Emil, Gustav, Lotta und Klara.
Wer das Alter nicht kennt glaubt, die haben bestimmt noch den
Ersten Weltkrieg erlebt.
So zieht dann täglich die Knirpsenkarawane durchs Dorf
Richtung Tissaer Höhen oder zum Spielplatz, dessen Bau sich
wirklich gelohnt hat. Die Muttis kommen da zu ihrem täglichen
Plauderstündchen aber auch die Väter gehen öfter mal mit
ihrem Nachwuchs aus.
Was für Deutschland, Thüringen und die Gemeinde gut ist, ist
schlecht für die Gemeindekasse. Ein völlig unausgewogenes
Finanzierungssystem der Kindertageseinrichtungen manövriert
viele Kommunen in das finanzielle Chaos.
Die Gemeinde mit nicht mal 150 Einwohnern, muss allein in
diesem Jahr für 10 Knirpse 67 Tausend Euro (TE) Kindergartenbeiträge
ausgeben, 563 Euro für einen Stepke pro Monat.
Abzüglich der Sonderzuweisungen vom Land sagenhafte 42 TE
aus der Gemeindekasse. Das geht nur mit einem gut gefüllten
Sparstrumpf und das auch nicht lange. Die Finanzierung müsste
prinzipiell über die Kreise laufen, so wären die Belastungen
planbar und ausgeglichen.
Die kleine Annabell wird bis zum dritten Lebensjahr bei einer
Tagesmutter betreut, dadurch bleibt der Gemeinde für zwei
Jahre der Beitrag erspart. Wir brauchen mehr Tagesmütter. Die
Geburtenrate in Ulrichswalde liegt zur Zeit bei Null. Hier lagen
die fruchtbaren Jahre in der Zeit, als in Tissa etwas Flaute war.
Gutes Timing für die Gemeindefinanzen. Bleibt zu hoffen, dass
sich Deutschland seine Bewohner auch in Zukunft leisten kann,
und dass die jungen Menschen dort bleiben und gut leben
können wo sie aufgewachsen sind.
Die Jugend im Dorf hält auch das Vereinsleben in Schwung.
Beim Teichbaumsetzen und Basteln an Himmelfahrtsgefährten,
Instandsetzen aller möglicher Land- und Forsttechnik, dem
kleinsten Weihnachtsmarkt, Oktoberfest, Walpurgisnacht und
allerhand Ausflügen zu anderen Vereinsfesten ist sie aktiv.
Die jungen Alten werden aus den Vorständen in den Ruhestand
geschickt. Die Jugend übernimmt. Mit dem Tissaer Teichbaumsetzen
wurde ein schöner Höhepunkt geschaffen, der ziemlich
einmalig in Deutschland ist und niemandem im Wege steht.
Der Jugendraum in Tissa wurde freiwillig, ehrenamtlich und
familienfreundlich von tatkräftiger Jugend renoviert, im Nachbardorf
der Gemeinderaum durch die reifere Jugend aus
Ulrichswalde.
Die Feuerwehr hat der Nachwuchs schon stark verjüngt und
die Mannschaftsstärke ist auf 26 Kameraden angewachsen.
Hier steht die Verjüngung in der Führungsriege noch aus,
denn nach 150 Stunden Theorie und Praxisausbildung zum

Feuerwehrmann ist noch einiges mehr an Fortbildung vonnöten
bis zum Trupp- und Gruppenführer. Aber auch hier greift der
Nachwuchs mutig an.
Die Zahl der Traktoren in den beiden Dörfern ist mit dieser
Generation nochmals gestiegen. Jeder der etwas auf sich hält,
fährt Lanz, John Deere, Belarus, GT 09, oder sogar nagelneue
Traktoren. Aber natürlich nicht nur zum Spaß.
Der Wald wird aufgeräumt, die Fluren beackert und Tiere
gezüchtet. Im Haupt- und Nebenerwerb oder nur zur eigenen
Freude. Das Leben auf dem Dorf ist also auch sehr Tierreich,
so dass es glücklicherweise auch an Hangflächen keine Nutzungsausfälle
gibt.
Sogar zwei hübsche Pferde haben sich in Tissa angesiedelt. Das
letzte seiner Art, die schwarze Sophie, hatte am 15. Juni 2006
vermutlich durch Blitzschlag ihr Ende gefunden. Wünschen wir
den Beiden zur Freude aller ein langes Leben. Außerdem steht
in Ulrichswalde der ungeliebte Schweinestall mit zweitausend
Läufern, schlecht wenn da der Wind ins Dorf weht.
Aber auch alle Unnütztiere fühlen sich bei uns wohl. Auch die
sind heute gut vernetzt und wissen, wo es gute und leichte
Beute gibt. Reinecke Fuchs wird immer mit fetten Hühnern
versorgt. Er läuft zur besten Mittagszeit mitten durchs Dorf, holt
sich sein Hühnchen, grüßt den Bürgermeister und verschwindet
freundlich schwanzwedelnd ganz ohne Hast wieder im Walde.
Aber auch für unsere glücklichen Raubvögel ist immer noch ein
Hühnchen übrig. Allerdings werden in der Gemeinde langsam
die Eier knapp, die fehlen nicht nur auf dem Frühstückstisch,
sondern auch Igel und Marder, der Waschbär holen sich ihr
Menü vom Komposthaufen. Der Wolf wurde noch nicht beobachtet,
aber vielleicht beobachtet er ja uns schon.
Auch mit der Integration klappt es recht gut. Nilgänse haben
eine Großfamilie gegründet und sind auch in diesem Jahr wieder
angereist. Unser heimtückischer Plan war eigentlich, sie
aufzuessen, aber wir haben sie nicht erwischt. Auch Bayern,
Rheinländer und Großstädter zieht es in die Gemeinde, aber
keine Angst, die werden zwar vernascht, aber nicht aufgegessen.
Ein Bauernhof in Tissa wird durch einen Tissaer Kleinunternehmer
aufwändig und ursprünglich zu mehreren Wohneinheiten
umgebaut. In Ulrichswalde sind ebenfalls zwei Bestandsgebäude
zu diesem Zweck in der Kur. Zwanzig Minuten Fahrzeit bis
in Jenas Innenstadt ist nicht viel.
Allerdings möchten jetzt unsere Kinder, die hier aufgewachsen
sind, Familien gründen und auch dieser und jener wegen Platzmangels
mal ein Häuschen bauen. Nachdem Ulrichswalde mit
dem Bau des Schweinestalls zum Außenbereichsdorf ernannt
wurde, ist ein Neubau hier schon mal ausgeschlossen, Platz
wäre genug. In Tissa wurde das letzte Eigenheim vor 25 Jahren
gebaut. Und nun ist es trotzdem mit riesigen Problemen
verbunden, zwei Eigenheime zu errichten. Hoffentlich gehen
die Finanzen nicht schon für Gutachten und Planungen drauf,
bevor der Bau überhaupt losgeht.
Aus Richtung Stadtroda sind Bemühungen im Gange, Wohnbaugebiete
zu errichten, die das Stadtgebiet deutlich ausdehnen
würden und Tissa bedrohlich nahe kommen.
Diese Art der Ausbreitung ist überhaupt nicht in unserem Interesse.
Landwirtschaftsfläche und Aussichten werden verbaut,
Überfremdung und Interessenskonflikte drohen. Außerdem
ist die verkehrstechnische Anbindung völlig unzureichend.
Ein Wohnbaugebiet in unserer Gemeinde wurde aus diesen
Gründen vom Gemeinderat immer abgelehnt. Nachfragen von
außerhalb gab es viele.
Aber in den großen alten Bestandsgebäuden ist auch immer
noch Möglichkeit zum Ausbau. Beim Landwirt Gräfe hat sich
jetzt mit einigem Aufwand die dritte Generation ihr Nest gebaut,
und bei Pocherts sind schon drei Wohneinheiten eingerichtet

worden und auch bei Bartlings hat sich die dritte Generation
eingerichtet. Mehrere Fassaden erstrahlen in neuem Glanze
und den ramponierten Vierseithof im Ortskern will die Enkelin
des Besitzers mit ihrem Schatz aus Tissa als Nest für die vierköpfige
Familie und ihre Pferde herrichten.
Auch der Pflegedienst hat zur Zeit in der Gemeinde gut zu tun.
Die schnellen Flitzer mit dem Roten Kreuz sind immer unterwegs
und kehren in manches Haus täglich bis zu fünf mal ein,
immer freundlich und gut gelaunt. Essen auf Rädern ist dazu
eine sehr gute Ergänzung und ermöglicht ein langes Leben in
der Heimat und vertrauter Umgebung. Von den Angehörigen,
die tagsüber ihrer Arbeit außerhalb nachgehen, wäre dies ohne
die Leistungen der Pflegekasse nicht zu stemmen.
Die Demographieprognosen zur Überalterung, die den Kommunen
in den letzten Jahren gestellt wurden, scheinen sich in
der Gemeinde im Moment nicht zu bestätigen, aber die wohl
erste Generation, die in Deutschland keinen Krieg erlebt hat
und hoffentlich auch nie erleben wird, ist ja gerade erst 74 Jahre
alt. Wer weiß, wie alt die Menschen jetzt werden, vielleicht
sind ja damals die Gesündesten in Kriegen umgekommen.
Erfreulicherweise nimmt die Gemeinde von ihren wenigen Gewerbetreibenden
auch ein paar Tausend Euro Gewerbesteuer
ein, und der Einkommenssteueranteil steigt auch. Bleibt zu
hoffen, dass keine Rückforderungen eintreffen oder bei den
Finanzzuweisungen erheblich reduziert wird.
Die allgemeine Lage ist doch recht ausgeglichen, die Prioritäten
haben sich wie überall, auch auf Grund der wirtschaftlichen
Lage geändert. Die Häuser sind umgekrempelt, Arbeitsplätze
gibt es ausreichend, die Entlohnung hat sich verbessert, ein
paar Notgroschen liegen auf der Bank, wo sie hoffentlich
noch sicher sind, und kaum einer fährt Montag früh noch auf
Montage. Die Leute sind entspannter und finden wieder mehr
Zeit für die Dinge, die in den letzten Jahren nach der Wende
in den Hintergrund rückten.
Für die heutige Generation 50plus war das alles eine große
Umstellung in der Lebensplanung. Das sollten auch die nachfolgenden
Generationen nicht vergessen, für die heute vieles
so selbstverständlich ist.
Bis in fünf Jahren zum nächsten Dorfkurierbesuch in der freien
und eigenständigen Gemeinde grüßen die Einwohner aus
Tissa und Ulrichswalde.

Rainer Hartung April 2019